Leid-Linien

Sie möchten wie ein Mensch behandelt werden – einzigartig, individuell? Dann sollten Sie nicht ernsthaft krank werden. Sonst landen Sie, ehe Sie sich versehen, auf dem Fließband der sogenannten Leitlinienmedizin. Und auf dem Fließband ist es dann egal, dass sie ein Mensch sind mit einer einzigartigen Biographie, mit individuellen Bedürfnissen, mit eigenen Wünschen.

Das große Tor, durch das jeder schwerer erkrankte Patient im Land der modernen Medizin treten muss, ist beschriftet mit diesen Leitlinien und dem Satz: Ab hier nicht mehr denken, bitte.

Leitlinien könnten theoretisch ein praktische Sache sein – als Leitfaden für ärztliches Handeln angesichts bestimmter Erkrankungen könnten sie eine schnelle Übersicht über klassische Behandlungsmethoden bieten. Praktisch sind die Leitlinien zum größten Teil von der Pharmaindustrie beeinflusst, die darin vor allem eine ökonomische Goldgrube sieht. Wer die Leitlinien beeinflusst, entscheidet darüber, welche Medikamente standardmäßig verordnet werden und kann daran Milliarden verdienen.

Die Pharmaindustrie und die Kriegsindustrie sind nicht allzu weit voneinander entfernt – sie heizen auf jeweils ihre Weise einen Krieg an, an dem sie sehr gut verdienen können. Woran sie jeweils nicht interessiert sind: Gesundheit bzw. Frieden.

So weit, so gut, so abstrakt. Irgendwie hat jeder schon mehr oder weniger einmal davon gehört. Bevor Corona eintraf, gab es hin und wieder noch einige kritische Beiträge im Fernsehen oder im Radio zu den Machenschaften der Pharmaindustrie.

Doch wie geht es einem, wenn man auf einmal mitten in dieses Räderwerk hineingerät?

Plötzlich finden Sie sich auf diesem Fließband und in einem Geschehen wieder, das mehr wie ein absurdes Theaterstücke denn als Weg zur Heilung anmutete.

1. Akt: Diagnosestellung, Termin bei einem Facharzt. - Das kann dauern. Als sogenannter Vermittlungsfall durch eine Hausarztpraxis kann es schneller gehen, aber Vorsicht: Es dürfen keine Komplikationen auftreten. Als ein solcher Fall gibt es zumindest als Kassenpatient nur einen Facharzttermin pro Arzt pro Quartal. Sollte es doch Komplikationen geben, kann man beliebig viele Fachärzte desselben Faches abklappern, so dass der eigene Fall dann am Ende schön verstreut bei diversen Fachärzten liegt, die alle eine andere Meinung haben.

2. Akt: Medikamente. - Was, Sie möchten selber entscheiden, was Sie nehmen oder nicht? Was für ein Größenwahnsinn! Sie hören Sätze wie: Sie werden jetzt lebenslang auf dieses Medikament gesetzt. Und wehe Sie leisten Widerspruch. Fachärzte wollen nicht mit Ihnen diskutieren, über Ihre Wünsche reden. Sie wollen auch nicht darüber reden, was Sie an Ihrem Lebenswandel ändern können, um der Krankheit zukünftig vorbeugen zu können. Sie wollen auch nicht über die Ursachen sprechen. Sie interessieren den Facharzt nicht. Er möchte Ihnen das Rezept geben zur lebenslangen Versorgung mit Produkten der Pharmaindustrie. Wieder ein Fall mehr, an dem man gut verdienen kann. Sie wollen widersprechen – er fährt Ihnen über den Mund – er ist doch Arzt, Sie haben grundsätzlich keine Ahnung. Und jetzt sagen Sie nicht, dass Sie Experte für Ihren Körper sind.

Während Sie die Praxis verlassen, mit einem Rezept, das Sie nicht haben wollen, denken Sie über den Satz nach: Sie werden jetzt lebenslang auf auf dieses Medikament gesetzt. Und denken: Niemand setzt mich lebenslang auf irgend etwas. Aber Sie vergaßen, dass das Denken eingestellt werden sollte. Als Patient haben Sie nur noch zu erdulden, nicht mehr zu denken.

Akt 3: Komplikationen. - Sie haben wieder Schmerzen, Sie wollen einen Kontrolltermin, um abzuklären, dass nichts Neues entstanden ist. Sie wollen rechtzeitig reagieren. Ungut. Sie brauchen wieder einen Facharzttermin, siehe oben. Irgendwie bekommen Sie den. Der Arzt ist schlecht gelaunt, sehr schlecht gelaunt. Sein Plan war anders, nein, nicht sein Plan, die Leitlinien. Untersuchung zur Diagnosestellung am Anfang, danach Medikamente nach Vorschrift nehmen, Abschluss-Untersuchung nach frühestens drei Monaten. Keine Sperenzchen dazwischen. Er weigert sich, eine Kontrolluntersuchung zu machen, doziert von oben herab immer dasselbe: Die Leitlinien besagen.... es ist die adäquate Therapie.... Nach Ihrem Geschmack wiederholt er das mit der adäquaten Therapie etwas zu oft, warum muss er das so betonen? Sie wiederholen, dass Sie zur Kontrolluntersuchung hier sind, da es zwischenzeitlich bei einem anderen Facharzt eine Diagnose gab – um zu klären, was denn nun tatsächlich stimmt. Er doziert weiter: Es sei völlig egal, ob dem nun dieses oder jenes Krankheitsbild zugrunde liegt, es würde sowieso gleich behandelt, die Leitlinien sagen, drei Monate das Medikament. Sie merken, dass Sie ärgerlich werden. Sie versuchen vorsichtig mitzuteilen, dass es für Sie als Mensch aber einen Unterschied macht, ob es die eine oder die andere Diagnose sei, da sie nicht gleich schwer wiegen. Der Arzt kommt plötzlich mit der Wahrheit: Die Kasse zahlt keine Kontrolluntersuchung zwischendurch. Das ist nicht vorgesehen, fertig. Sie sagen: Dann zahle ich selbst. Der Arzt wird freundlicher: Das könne man gern so machen, aber es sei nicht notwendig, er wolle sich ja nicht bereichern. Natürlich nicht. (Die ganzen Plakate der Pharmaindustrie an den Wänden der Praxis dienen natürlich rein ästhetischen Zwecken).

Akt 4: Weitere Komplikationen. - Das ist wirklich nicht vorgesehen. Was für ein ungemütlicher Fall Sie doch für die Leitlinienmedizin sind. Sie landen innerhalb von drei Wochen beim dritten Facharzt – Sie wissen schon, wegen einmal im Quartal und so. Und Sie dachten, Sie hätten nun schon alle Absurditäten kennengelernt. Weit gefehlt. Es geht noch arroganter, noch aggressiver, noch demütigender. Dieser Facharzt, zu dem Sie gar nicht wollten, erklärt Ihnen, dass er seine Mittagspause für die Untersuchung geopfert hätte, was offensichtlich gleichbedeutend damit sei, dass Sie bitte alles stillschweigend über sich ergehen lassen, keine Fragen stellen, keinen Widerspruch erheben. Moralischer Druck als gängiges Machtmittel. Sie fragen, ob der Arzt Ihnen zwei Stichworte geben könnte für Ihren Hausarzt, und werden daraufhin angefahren, dass er nicht seine Zeit damit verschwenden würde, Ihnen zu erklären, welche Körperteile nun genau betroffen wären. Er schiebt Ihnen ein Rezept hinüber – Sie kennen die Nummer schon, lebenslang und sowieso nur das und nichts anderes. Sie wagen es, Widerspruch einzulegen, Sie wollen das Alternativmedikament. Daraufhin schreit er Sie an (tatsächlich): Darüber werde er nicht diskutieren, damit werde er nicht seine Zeit verschwenden, über die Wahl der Medikamente zu diskutieren, Schluss. Wozu sei er denn Arzt? Sie bleiben betont ruhig, Sie kennen alles zur Genüge. Nach einer Weile rutscht auch diesem Arzt die Wahrheit heraus. Das Alternativmedikament, (von dem Sie wissen, dass es deutlich verträglicher und ungefährlicher ist), sei nicht ökonomisch, das sei viel teurer, das verschreibt er nicht. Interessant. Wurde uns nicht in Coronazeiten vorgegaukelt, alles sei zu unserem Wohle, alles nur für unsere Gesundheit? Es geht hier gerade um lukrative Medikamente der großen Pharmafirmen, die an den Mann oder die Frau gebracht werden müssen. Medikamente, mit denen die Pharmafirmen ihren größten Umsatz machen. Und Sie wollen etwas anderes.... was für ein Frevel. Abgesehen davon hatte dieser Facharzt wieder eine neue Diagnose. Sie verlassen die Praxis, sind nicht schlauer, haben dieses flaue Gefühl im Bauch, weil man mit Ihnen nicht die Zeit verschwenden wollte.

Akt 5: Von wegen Gefühle. Sie verlassen das Gelände der Leitlinienmedizin. Zwischendurch haben Sie beinahe vergessen, dass Sie ein Mensch sind und keine Maschine. Dass Sie Gefühle haben und nicht nur eine Fallnummer sind. Sie haben Angst – was passiert da in Ihrem Körper? Wie geht es weiter? Warum ist das jetzt geschehen? Gefühle sind in der modernen Medizin nicht vorgesehen. Eine Seele gibt es hier nicht, einen Geist sowieso nicht. Sie spüren Ohnmacht. Denn Sie sind abhängig von Ärzten, die in Ihnen nur eine Fallpauschale sehen, wenn Sie eine Untersuchung für eine genaue Diagnosestellung brauchen. Sie werden durch eine Medizinfabrik geschoben, in der Sie wahlweise eine zu reparierende Maschine oder eine Beute der Pharmaindustrie sind. Sie spüren die Kälte einer entseelten Medizin. Und begreifen vielleicht erstmals so richtig, was es heißt in einem materialistischen Zeitalter zu leben. Geistlose Medizin macht Angst.

Akt 6: Hören Sie niemals auf zu denken, egal was passiert.