traumafolgestörung

Traumafolgestörung

 

Eine Traumatisierung kann eine Angststörung zur Folge haben, und eine Angststörung kann in eine Depression führen. Depressionen können mit Angstzuständen einhergehen. Und Traumatisierungen könnnen zu Depressionen führen. Häufige Ursachen für Angststörungen sind seelische Traumata.

Daher sind Angststörungen, Depressionen und Traumafolgestörungen häufig miteinander verbunden.

 

Was ist ein Trauma?

 

Traumatische Erfahrungen sind solche, die unsere Verarbeitungsfähigkeit bei weitem übersteigen. Ohnmacht, Todesangst und extreme Hilflosigkeit sind typische begleitende Gefühle. Trauma bedeutet wörtlich Verletzung oder Wunde.

 

Man unterscheidet zwischen

- Man-Made-Traumata:  Traumata, die Menschen Menschen zufügen

- individuelle, externe Traumata: z.B. Naturkatastrophen, Unfälle, schwere Erkrankungen,          Schicksalsschläge

- kollektive Traumata: z.B. Krieg

 

Mögliche Traumata:

(nach Reddemann, Dehner-Rau: Trauma- Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen)

 

- Gewalt

- sexualisierte Gewalt

- Missbrauch - körperlich, emotional, geistig - auch in einer Sekte, in Therapie

- Vernachlässigung in der Kindheit - körperlich, emotional, psychisch

- Naturkatastrophen

- Krieg

- Folter

- Vertreibung

- Traumata durch medizinische (notwendige) Eingriffe

- traumatisches Geburtserleben

- Unfälle

- Verlust einer nahen Bezugsperson, insbesondere unerwartet und im Kindesalter, vor allem der Verlust der Eltern im Kindesalter und der Verlust eines Kindes

- Miterleben von Gewalt und sexualisierter Gewalt als Zeuge

- Miterleben anderer traumatischer Ereignisse, z.B. ein krebskrankes Kind haben

- Konfrontation mit Traumafolgen als Helfer (Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte)

  (sog. sekundäre Traumatisierung)

- Zusammenleben als Kind mit traumatisierten Eltern

- auch sekundäre Traumatisierung bzw. 'Second-Generation-Phänomen'

Ein einmaliges traumatisches Erlebnis im Erwachsenenalter kann in der Regel besser verarbeitet werden als wiederholte, über Jahre dauernde Traumata im Kindesalter.

Ein durch äußere Faktoren ausgelöstes Trauma kann meist besser verkraftet werden als ein durch Menschen verursachtes traumatisches Ereignis.

Je enger die Beziehung zur verursachenden Person ist, desto schwerer sind im Allgemeinen die Folgen.

Je mehr unterstützende Faktoren vorhanden sind, desto besser gelingt der Umgang mit schweren Belastungen.

Erfahrene Traumata in Zusammenhang mit engen Bindungspersonen, wie Gewalt und Missbrauch,
führen häufig zu sog. Entwicklungstraumata oder Bindungstraumata. Betroffene haben ein ambivalentes und unsicheres Bindungsverhalten aufgrund der Tatsache, dass enge Bezugspersonen in Kindheit und Jugend wechselnd fürsorgliches und gewalttätiges Verhalten zeigten, so dass keine verlässliche Bindung aufgebaut werden konnte. Dies Erfahrung beeinflusst oft alle weitere engeren Beziehungen des späteren Lebens.

 

Nicht jede Belastung ist ein Trauma

 

Gegenwärtig ist der Begriff sehr in Mode gekomme und mittlerweile werden normale Alltagsbelastungen oder Kränkungen als Trauma bezeichnet. Damit werden der Begriff verwässert und das Grauenhafte und Entsetzliche tatsächlicher Traumata banalisiert.

 

Traumafolgen

 

Ein traumatisches Erlebnis löst eine Stressreaktion aus. Körper und Seele sind in Alarmbereitschaft - es geht ums Überleben. Darauf gibt es drei mögliche Reaktionen: Kampf oder Flucht oder Erstarrung.

Bei anhaltender Stressreaktion ist der Pegel der Stresshormone ständig erhöht, was sich ungünstig auf die Nervenzellen des sog. Hippocampus auswirkt, einem Teil des Gehirns, der für das Lernen neuer Wissensinhalte zuständig ist.

Ganz in der Nähe des Hippocampus liegen die Mandelkerne (Amygdalae) - hier werden normalerweise die mit einer Erfahrung verbundenen Gefühle gespeichert. Hippocampus und Mandelkerne sind im Normalfall eng verbunden. So werden Verknüpfungen geschaffen zwischen dem Erlebten und den damit verbundenen Gefühlen.

Große Angst verhindert diese Verknüpfung. So werden bestimmte, mit starker Angst verbundene Erlebnisse zwar nicht vergessen, aber fragmentiert in der rechten Gehirnhälfte abgespeichert und können dementsprechend nicht in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden. Das ist damit gemeint, wenn man bei Traumafolgen von der Zersplitterung der Erinnerung spricht.

Traumatische Erlebnisse werden über die Mandelkerne als Gefühlszustände, Bilder oder körperliche Reaktionen erinnert, nicht aber als konkrete Ereignisse in Zusammenhang mit der äußeren Realität.

Bei der nicht geglückten Traumaverarbeitung überwiegt das sog. heiße Gedächtnis (hot memory) zu Lasten des autobiographischen Gedächtnisses (cold memory). Es herrscht ein Nebeneinander von intensiven Erinnerungszuständen (Intrusionen) und Erinnerungslücken.

 

Was ist ein posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

 

Wenn die Verarbeitung des Traumas nicht gelingt in einem Zeitraum bis zu einem halben Jahr, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Zu unterscheiden ist eine PTBS durch ein einmaliges Ereignis, wie durch einen Unfall oder einen Überfall, von einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, die infolge jahrelanger traumatischer Erfahrungen, vor allem durch Gewalt und Missbrauch, ensteht.
Diese Traumafolgestörung wurde sehr lange nicht im Diagnostikkatalog geführt, was zu der absurden Situation führte, dass schwerst traumatisierte Menschen zahlreiche Ersatzdiagnosen erhielten, weil die einfache PTBS auf sie nicht zutraf. Erst im ICD 11, der 2022 in Kraft getreten ist, wird die komplexe posttraumatische Belastungsstörung erstmals als eigenständige Diagnose geführt.

 

Mögliche Symptome für eine Traumafolgestörung sind:

 

- Übererregungssymptome

  (starke Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Neigung zu Herzklopfen, starke Stimmungsschwankungen u.a.)

- Vermeidungssymptome

(Meiden bestimmter Orte/Situationen, die an das Erlebte erinnern)

- Flashbacks

(plötzliches Wiedererleben der traumatischen Situation, als würde sie jetzt stattfinden)

- Intrusionen

(blitzartiges Überflutet-Werden von Erinnerungen)

- Angst vor Gefühlen

- Selbstzerstörisches Verhalten

(Selbstverletzung, Aufsuchen riskanter Situationen)

- Alpträume und Schlafstörungen

- dissoziative Zustände (weiter unten näher beschrieben)

(u.a. Fremdheitsgefühle des eigenen Körpers oder der Umgebung, Abspaltung von bestimmten Zuständen, Amnesien)

- Verlust von Zukunftsperspektiven

- Suchtverhalten

(Konsum von Alkohol, Drogen, Tabletten, Internet-, Spiel-, Sexsucht etc.)

 

80% der PatientInnen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung haben mindestens eine weitere psychiatrische Diagnose.

 

Häufige Krankheitsbilder in Zusammenhang mit der PTBS:

 

- Angststörungen

- depressive Störungen /Depressionen

- Schmerzstörungen

- Zwangsstörungen

- Essstörungen

- dissoziative Störungen / dissoziative Identitätsstörung (früher multiple Persönlichkeitsstörung)

- Suchterkrankungen

- sog. Persönlichkeitsstörungen wie Borderline

(Heute ist bekannt, dass die Borderline-Störung eigentlich eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung ist.)

 

Dissoziation

Menschen mit Traumafolgestörungen leiden häufig an Dissoziatinen.
Unter einer dissoziativen Störung versteht man einen teilweisen oder völligen Verlust der Fähigkeit unseres Gehirns, Wahrnehmungen aus unterschiedlichsten Qualitäten zu einem normalen, umfänglichen Erleben zusammenzufügen. Diese gestörten integrativen Hirnfunktionen können zu Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, der Wahrnehmung der eigenen Person, des Körpers, der Umwelt und des eigenen Identitätserlebens führen. Dissoziation wird als intrapsychische Möglichkeit verstanden, schwer erträgliche Belastungen auszuhalten.

Die Symptome der dissoziativen Störung sind:

 

dissoziative Amnesie: über die normale Vergesslichkeit hinausgehende Beeinträchtigung der Erinnerung an belastende oder traumatische Ereignisse

 

dissoziative Fugue: der Betroffene tritt beispielsweise spontan und unerwartet eine Reise / einen Ausflug an, wird dabei in keiner Weise äußerlich auffällig und kann sich später nur eingeschränkt oder gar nicht daran erinnern

 

dissoziative Stupor: der Betroffene reagiert nicht mehr auf Außenreize wie Licht, Geräusche oder Berührung, zeigt dabei reduzierte oder fehlende willkürliche Bewegungen und spricht nicht mehr, wohingegen bei aufrechter Körperhaltung Muskelanspannung und Atmung normal sind

 

dissoziative Bewegungsstörungen: Koordinationsstörungen bis zum völligen Verlust der Bewegungsfähigkeit

 

dissoziative Krampfanfälle: epilepsieähnliche, plötzlich krampfhafte Bewegungen

 

dissoziative Sensibilitäts- u. Empfindungsstörungen: reduzierte oder fehlende Hautempfindungen oder Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken)

dissoziative Depersonalisation oder Derealisation: Entfremdung gegenüber der eigenen Person oder Unwirklichkeitserleben gegenüber der Umwelt

 

Eine Sonderform der dissoziativen Störungen ist die dissoziative Identitätsstörung.


Dissoziative Identitätsstörung

Bis heute vielen Therapeuten und Ärzten nicht geläufig ist die dissoziative Identitätsstörung als Traumafolgestörung bei Überlebenden schwerster Gewalt und Folter, oftmals im Rahmen organisierter Kriminalität.
Menschen mit einer dissoziativen Identitätsstruktur haben mindestens zwei, oft mehr unterscheidbare Persönlichkeitsanteile (dissoziative Identitäten). Jeder Persönlichkeitsanteil hat ein eigenes Erleben, Wahrnehmen, Erfassen und Interagieren mit sich selbst, dem eigenen Körper und der Umgebung. Verschiedene dieser Persönlichkeitsanteile übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Bewusstsein und das Handeln der Betroffenen. Subjektiv wird dies erlebt als nicht zu sich gehörendes Verhalten, Stimmen hören, „Zeit verlieren“ (Erinnerungslücken), Flashbacks, Erstarren u.a. . Häufig gibt es ein sog. Alltags-Ich, das das Funktionieren im normalen Alltag übernimmt, und daneben kindliche Persönlichkeiten oder auch täterloyale Persönlichkeiten.
Die verschiedenen Anteile wissen zunächst nichts voneinander, erst im Rahmen einer Therapie kann es gelingen, die verschiedenen Anteile nach und nach zu integrieren.