Unterwegs mit der Frage: Was ist Heilung?

Ich selber bin seit langer Zeit mit der Frage beschäftigt, was Heilung ist und bedeutet.

Mit etwa siebzehn Jahren begann ich alle möglichen Bücher über Naturheilkunde, Homöopathie, ayurvedische Medizin usw. zu lesen. Mit Ende Zwanzig stieß ich auf das Buch 'Unterwegs in die nächste Dimension' von Clemens Kuby, der darin u.a. seine eigene Heilungsgeschichte beschreibt, wie er nach einer Querschnittslähmung durch einen Unfall schließlich wieder gehen konnte, entgegen aller ärztlichen Prophezeiungen. Was mir vor allem hängenblieb, war auch, wie er darstellte, dass es eine sehr starke Motivation braucht, um wieder gesund zu werden, in seinem Fall wieder gehen zu können. Diese Geschichte ließ mich nie mehr los und das Wissen, dass so viel mehr Heilung möglich ist, als uns innerhalb des modernen Gesundheitswesens weisgemacht wird, hat mich immer erneut zu neuen Ufern aufbrechen lassen.

 

In meiner Arbeit als Seminarleiterin am Frauen-Notruf Hannover über fünfzehn Jahre hatte ich viel mit Menschen zu tun, die durch alle Raster dieses modernen Gesundheitswesens fallen. Schwer und komplex traumatisierte Frauen, die oft vergeblich nach einer geeigneten Therapiemethode (wenn nicht überhaupt nach einem Therapieplatz) suchen. Ich erfuhr, dass bei bestimmten Krankheitsbildern keine Aussicht auf Heilung zu bestehen scheint bzw. dass die gängigen Therapieansätze daran einfach scheitern, weil sie nicht stimmen, oder dass sie irgendwann zu einer Stagnation führen.
Ich lernte dabei auch, dass Schreiben eine große heilende Kraft für diese Frauen entfalten kann und entwickelte eine Schreibtherapie-Methode, die Ansätze der ressourcenorientierten Traumatherapie mit Elementen des literarischen Schreibens verbindet. Mittlerweile leite ich eigene schreibtherapeutische Gruppen, nicht nur für traumatisierte Menschen, sondern für Menschen mit vielen, verschiedenen psychischen Einschränkungen, in denen ich diese Methode weiterhin nutze und beständig weiterentwickele. Ein Buch dazu ist in Arbeit.


Neben der heilsamen Kraft des Schreibens interessierten mich immer körperorientierte Heilmethoden. In meiner langjährigen Arbeit als Taijiquan-Lehrerin entdeckte ich, welch großes Potential an Heilung in diesen alten Kampf- und Bewegungskünsten liegt und war immer wieder überrascht. Ich arbeitete über zehn Jahre im Taijiquan ebenfalls überwiegend mit Menschen mit schweren Traumata und lernte dabei, wie sowohl das Sich-Bewegen in einer Gruppe in einem gemeinsamen Rhythmus, aber auch das neue Erfahren des eigenen Körpers innerhalb dieser Künste mit ihrer strukturierenden Form heilend wirkt.  Dieses Sich-Aufrichten, die eigene Kraft erfahren, die eigenen Grenzen zu erleben innerhalb einer sanften Kampfkunst ermöglichte ganz erstaunliche Prozesse. Aus meiner zuvorigen Ausbildung zur Shiatsu-Praktikerin hatte ich zudem gelernt, welche Rolle die Meridiane bei der Heilung spielen, hatte gelernt, mich der eher energetischen Ebene von Heilung zuzuwenden, wie ich sie auch beim Erlernen des medizinischen Qigong weiter vertiefen konnte.

Außerdem überraschte und überrascht es mich immer erneut, dass meine Bücher offenbar für viele Menschen eine heilende Wirkung entfalten - so zumindest die Rückmeldungen.
Lange konnte ich meine Arbeitsbereiche von Literatur/Kunst einerseits und Therapie andererseits nicht zusammendenken, nahm hingegen viel mehr an, dass ich mich doch mal entscheiden müsste, ob ich nun künstlerisch oder therapeutisch arbeiten wolle. Diese Entscheidung konnte ich nicht treffen, weil mich beides tief erfüllte, bis ich merkte, dass diese beiden Bereiche ganz eng verbunden sind.

 

In meinen Romanen setze ich mich vor allem mit psychologischen Themen auseinander, mit Tabuthemen unserer Gesellschaft, ausgehend von der Idee, abseits von Fachliteratur oder Betroffenenbericht eine literarische Sprache für Grenzerfahrungen der Seele zu finden. Die Rückmeldungen zeigen mir, dass eben darin, dass jemand Worte für etwas Unfassbares, kaum Ausdrückbares, Sprachloses findet, viel Hilfe zur Heilung liegen kann.
Die Kinderbücher, die lange in der Schublade lagen und die nun nach und nach erscheinen, gehen denselben Weg - kleine Geschichten für kleine Menschen, die zwischen den Worten Raum lassen für das eigene Nacherleben und Erleben davon, was eigene Handicaps bedeuten und wie es gelingen kann, Wege dort heraus zu finden. Bücher für Kinder, die nicht stillsitzen können, für Kinder mit Angst- und Panikstörungen u.a.. Die Intention dabei ist primär immer eine künstlerische, keine therapeutische oder didaktische - wie kann es gelingen, für etwas jenseits der Worte, für leidvolle Erfahrungen eine Form zu finden - daher sind es wohl eben keine typischen Therapiebücher.
Selbst bei meinen Gedichtbänden und meinen Blog-Artikeln, bei denen ich selber gar nicht in diese Richtung denke, bekomme ich Rückmeldungen in der Art, dass sie dabei helfen, innerlich heiler zu werden, was mich völlig erstaunte. Denn es sind keine in dem Sinne schönen Texte, keine Bücher, die harmonische und friedliche Zustände beschreiben - sie sind oft hart, provokativ, setzen sich direkt mit dem Alltagsgeschehen auseinander, mit den Abgründen unserer Gesellschaft und Politik. Aber offenbar ist es auch hier wieder das Phänomen, dass es plötzlich Worte gibt, in denen man sich wiederfinden kann, in dem man bisher Ungedachtes denken kann, weiterdenken kann, in dem ein vorher vielleicht vages ungutes Gefühl eine Form in Worten findet.

So forschte und forsche ich immer weiter, welche Heilungswege es gibt, wo vielleicht noch unentdeckte Potentiale von Heilung ruhen. Ein Weg voller Überraschungen und Staunen.
Auf meinem ganz eigenen Heilungsweg, konfrontiert mit hartnäckigen und langjährigen und auch immer wiederkehrenden Erkrankungen, bin ich ebenfalls immer wieder zu neuen Ufern aufgebrochen, immer überzeugt davon, dass gegen jede Krankheit ein Kraut gewachsen sei, dass es immer Möglichkeiten gibt, die ich vielleicht noch nicht kenne, die es aber zu suchen gilt.
Ich habe gelernt bzw. lernen müssen, dass Heilung nie linear verläuft, dass es sehr entscheidend sein kann, zunächst die Nuss im Kopf zu knacken: Heilung überhaupt für möglich zu halten.
Ich kenne die Phasen von Kampf, Verzweiflung, Aufgeben, Resignation, wieder Hoffnung finden, weitergehen, weitersuchen. Ich weiß, dass Heilung ihre ganz eigene Zeit hat.

Viel Inspiration habe ich auch in der anthroposophischen Medizin und in anthroposophisch geprägten Therapieformen gefunden. Seit einigen Jahren übe ich selber die Heileurythmie und werde von ihr immer wieder reich beschenkt - eine viel zu wenig bekannte Therapieform mit sehr großem Potential. Das Üben der Heileurythmie war für mich eine logische Fortsetzung meines zuvor beschrittenen Weges der asiatischen Heil- und Kampfkünste, da sie diesen zwar ähnelt, aber noch viel feinere Ebenen berührt und zugleich Sprache und Bewegung verbindet.

Ebenfalls eine große Inspiration sind für mich Therapieformen, die Therapie größer und weiter denken, die jenes 'thinking out of the box' im besten Sinne erfüllen, wie die Transpersonale Regressionstherapie, die Heilungsmöglichkeiten für Menschen bietet, die vielleicht schon angesichts scheinbar therapieresistenter Beschwerden resigniert sind.

Eine tiefe und langgehegte Leidenschaft von mir ist zudem die Beschäftigung mit alten Heilpflanzen.
Ich gebe ihr auf meiner Gartenseite etwas Ausdruck, wo ich nach und nach verschiedene Heilpflanzen portraitiere, schreibend und fotografisch. Im Dialog mit ihnen offenbart sich, was Heilung sein kann, noch einmal auf ganz eigene Weise. Sie lehren mich viel darüber, was Heilung bedeutet. (Wer dafür Interesse hat: https://garten-bewegt.jimdofree.com/heilpflanzen/)

 

Seit der Corona-Zeit beschäftigt mich außerdem sehr, wie man Wunden in der Gesellschaft heilen kann, wie sie durch die bekannten Maßnahmen wie monatelanges Isolieren, Maskenpflicht, Einschränkung der Grundrechte, Impfdruck, Erzeugen einer Dauer-Angst, Spaltung der Gesellschaft etc. entstanden sind.
Ich habe eine Lesung entworfen: 'Stimmen aus dem Off', die all den ungehörten Stimmen, dem ungehörten Schmerz einen Ausdruck geben soll. Lauter kleine literarische Splitter aus ganz verschiedenen Ich-Perspektiven, gelesen von vielen verschiedenen Menschen, begleitet von Improvisationsmusik. Dieses Vorhaben ruht derzeit, da die Widerstände, mit denen ich bei der Umsetzung des Projektes konfrontiert war, sehr heftig waren.

Eine weitere Frage, die mich sehr beschäftigt, ist, wie man Orte und Plätze heilen kann, an denen grausame und brutale Dinge passiert sind. Jeder kennt das Phänomen, dass einen an bestimmten Orten ein bedrückendes und beklemmendes Gefühl anfällt. Manche kennen es, dass sie in bestimmten Häusern und Räumen schlimme Alpträume bekommen, mit denen man selbst nichts zu tun hat. Oder dass man andere Wahrnehmnungen hat, mit denen man nur schwer umgehen kann. Es ist bekannt, dass auf Straßen immer wieder an einer bestimmten Stelle schwere Unfälle passieren oder dass an bestimmten Orten Menschen gehäuft Suizid begehen. Gleichzeitig gibt es Orte, an denen wir von einer tiefen Ruhe erfüllt werden, an denen bereits viel Heilsames geschehen ist. So wie jeder Mensch seine Geschichte hat, die er in Körper und Seele gespeichert mit sich trägt, so hat auch jeder Ort eine Art Gedächtnis für alle Geschehnisse, die dort stattfanden.

 

So bin ich unterwegs mit vielen Fragen und doch immer derselben Frage: Was ist Heilung? Wie kann Heilung gelingen?
Denn jeder Schritt in Richtung Heilung bedeutet immer auch etwas mehr Frieden auf dieser Welt.