Es ist vorbei! – Wirklich? ... Der ewige Sog des Traumas

Es ist ein Satz, den vermutlich fast alle Traumapatienten regelmäßig von ihren Therapeuten zu hören bekommen: Es ist vorbei.

Dann, wenn Körper und Seele in einen Zustand fallen, als würde das Trauma gerade wieder stattfinden, wenn Flashbacks, Panikattacken oder Dissoziationen erneut völlige Ohnmacht auslösen. Ein Trauma als überwältigendes, nicht mehr zu verarbeitendes Ereignis, das Körper und Seele existentiell bedroht, sei es in Form von Gewalt oder Naturkatastrophen oder Unfällen, hat die unangenehme Eigenschaft, wenn es nicht integriert werden kann, sich in einer endlosen Schleife zu reinszenieren. Dies kann sich zeigen in immer wiederkehrenden, nicht steuerbaren Gefühlszuständen von Angst, Ohnmacht und Wut, oder in sich ständig wiederholenden Erinnerungen, die sich in Bildern oder auch als Körpererinnerungen darstellen. Und es kann auftauchen als der für Außenstehende oft unverständliche Sog immer wieder dieselbe oder eine ähnliche Situation aufzusuchen, ein verzweifelter Lösungsversuch, der zum Scheitern verurteilt ist. Es mag befremdlich anmuten, wenn ein Mensch, der jahrelang Gewalt und Missbrauch erlebt hat, sich immer wieder in missbräuchliche Beziehungen begibt, aber es ist letztlich ein misslungener Selbstheilungsversuch. In jedem Menschen drängt etwas in Richtung Heilung der erlittenen Wunden, auch wenn es manchmal eher wie das Gegenteil aussieht.

Es ist vorbei – ein Satz manchmal wie Schall und Rauch, der viele Patienten nicht erreicht.

Sie hören ihn, verstehen ihn kognitiv, aber sie können ihn nicht wirklich fühlen oder verinnerlichen. Zu mächtig ist das Körpergedächtnis und all jenes, was in ihrem Energiefeld gespeichert ist. Und zu zerrissen sind die traumatischen Erinnerungen, die nicht in das normale biographische Gedächtnis integriert werden konnten, sondern in chaotischer Form unsortiert als Erinnerungsfetzen umherfliegen, die durch alles Mögliche wie Gerüche, Geräusche, Stimmen, Farben u.a. jederzeit getriggert werden können. Ein Traumapatient hat immer wieder erlebt, wie er die Kontrolle verliert – einmal angesichts der traumatischen Erlebnisse und später in Form des Überwältigt-Werdens durch Gefühle, Erinnerungen, Schmerzen.

Wie kann es gelingen, dass Menschen mit Traumafolgestörungen wirklich begreifen können, dass es vorbei ist? Dass es nicht nur eine Idee bleibt, eine abstrakte Vorstellung davon, dass es ja so sein sollte, auch wenn es sich ganz anders anfühlt.

Die Psychologen Maier und Seligman stellten in Versuchen fest, dass in Käfigen gefangene Hunde, denen wiederholt schmerzhafte Elektroschocks versetzt wurden – eine grausame Methode, um die Wirkung von Trauma zu erforschen – die Käfige nicht verließen, wenn die Türen geöffnet wurden. Die Möglichkeit zu fliehen veranlasst weder traumatisierte Tiere noch Menschen dazu, den Weg in die Freiheit zu nehmen. Die einzige Methode, den traumatisierten Hunden beizubringen, den Käfig, in dem sie gequält worden waren, zu verlassen, war, sie wiederholt mit den eigenen Händen aus dem Käfig zu ziehen, damit sie am eigenen Körper erlebten, wie man sich daraus entfernen kann.[1]

Es braucht das körperliche Erlebnis, auch beim Menschen, um das Gefühl wiederzuerlangen, dass man auch auf physischer Ebene wieder Kontrolle hat. Die Körpertherapeutin Licia Sky schreibt: „Menschen, die in ihrem Entsetzen erstarrt sind, müssen wieder ein Gefühl dafür entwickeln, wo im Raum sich ihr Körper befindet und wo seine Grenzen sind. Feste Berührungen, die Sicherheit vermitteln, zeigen diese Grenzen: was außerhalb von ihnen ist und wo ihr Körper endet.“[2]

Es wird deutlich, dass die Einbindung des Körpers in eine gelungene Traumatherapie unabdingbar ist. Nur über Traumata zu sprechen oder nur heilsame Imaginationen zu üben wird nicht dabei helfen, ein Trauma aufzulösen, so dass wirklich das Erleben entstehen kann: Ja, es ist vorbei.

In körperorientierten Traumatherapierichtungen hat man erkannt, dass Zittern während der Aufarbeitung eines Traumas dabei hilft, die Spannung aus dem Körper zu lösen, die dort seit der traumatischen Erlebnisse eingefroren war. So wie eine Antilope, die gerade vor einem Löwen fliehen konnte und knapp dem Tod entgangen ist, nach gelungener Flucht beginnt am ganzen Körper zu zittern. Es ist eine natürliche Reaktion, die Überladung des Körpers und auch der Seele mit extrem starker Energie wieder abzubauen. Beim Menschen wird diese natürliche Reaktion häufig unterbunden, wenn nach Unfällen oder anderen Ereignissen Beruhigungsmittel gegeben werden, die dieses Abzittern verunmöglichen. Allerdings, und das ist auch interessant, kann auch das Zittern zu einer typisch traumatischen Endlosschleife werden, wenn es bei Erinnerungen an das Trauma einsetzt, aber nicht mehr aufhört – so wie bei einem Computer, der sich aufgehängt hat. Dann ist es für die Patienten nicht erlösend oder befreiend, sondern quälend, weil sie in einer nicht enden wollenden Reaktion des Körpers gefangen sind, die letztlich wieder nur vermittelt, ich habe die Kontrolle verloren, es passiert etwas, ohne dass ich es beeinflussen kann – also genau dasselbe, was vom erlebten Trauma vertraut ist. Ähnlich ist es mit Dissoziationen, also der Abspaltung von Wahrnehmung, von Fühlen und Denken, das Menschen wie in einer Nebelwolke verschwinden lässt, in der sie nicht mehr erreichbar sind. Was ursprünglich als Schutz diente, um ein traumatisches Ereignis zu überleben, ist in seiner Wiederholung eine Form der Retraumatisierung.

Wenn ein Patient nicht aufhört zu zittern, wenn keine Entladung erfolgt, sondern er offenbar in seinem Zittern gefangen ist, braucht es die Intervention des Therapeuten. Und diese muss dementsprechend, wenn möglich, meistens physisch sein, das heißt, es braucht hier eine feste Berührung an den Schultern oder an den Armen beispielsweise, verbunden mit dem Satz: Es ist vorbei. Dann ist die erstaunliche Erfahrung, dass beim Patienten auf einmal ein tiefes Ausatmen erfolgt und eine Entspannung einsetzen kann. Es reicht hier die verbale Intervention allein nicht, da sie den Menschen nicht erreichen kann. Es braucht eine Art Weckruf an den Körper, an das Gewebe, hallo, spür mal, es ist wirklich vorbei. Zu oft lassen Therapeuten Klienten endlos lange zittern in der Überzeugung, dass dies eine gute Sache sei. Es braucht viel Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl, um zu erkennen, wann ein Zittern befreiend ist und wann es einen klaren Impuls braucht, dass es aufhören darf.

Was in einer guten Traumatherapie unbedingt vermieden werden sollte, ist, dass sich typisch traumatische Zustände permanent reinszenieren, sei es in Form von einem sich festgefahrenen Zittern oder in Form von wiederkehrenden, andauernden Dissoziationen. Damit wird das Trauma vertieft, nicht geheilt.

Es ist vorbei – das ist etwas, was immer wieder erlebt werden muss, bevor es von Körper, Seele und Geist begriffen werden kann.

Die Haltung eines Therapeuten dabei ist nicht unwesentlich. Ein Therapeut, der überzeugt ist, dass man schwere Traumata letztlich nicht auflösen kann, wird dies auch immer unterschwellig vermitteln. Therapeuten, die erfahren haben, dass nichts unmöglich ist, dass Heilung immer möglich ist, bringen eine andere Haltung mit, die sich positiv auf die Patienten überträgt.

Es ist vorbei, es darf vorbei sein, es kann vorbei sein – all dies muss erst einmal zugelassen werden.

 

[1] siehe Bessel van der Kolk: Verkörperter Schrecken – Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann, S. 41ff., Probstverlag, 2015

[2] ebd., S. 258.